Wahnsinn
Wahnsinn. Dieses kleine, einfache Wörtchen. Hoffentlich geht es dir so wie vielen anderen Menschen und du nimmst es in den Mund, um eine Sache, die dir gefällt oder die dich verblüfft, besonders hervorzuheben. "Wow! Echt Wahnsinn!" oder so.
Natürlich gibt es auch die negative Bedeutung dieses Wortes. Wahnsinn im Sinne von echtem Wahnsinn, Verrücktwerden, verrückt sein. Krankhafter Wahnsinn. Das ist etwas, was niemand von uns gerne erleben will. Ich möchte dir meine Geschichte erzählen, denn sie hat etwas mit Wahnsinn zu tun, im positiven wie im negativen Sinn. Sie ist etwas länger geworden, aber ich möchte sie dir von Anfang an erzählen, damit du die späteren Zusammenhänge besser verstehen kannst.
Ich kann dir nicht den genauen Zeitpunkt sagen, an dem alles begonnen hat, denn den gibt es nicht. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich eine recht schöne Kindheit gehabt habe und meine eigentlichen Probleme erst mit der Pubertät begannen. Klar, denkst du jetzt, das hat doch jeder erlebt, diese ekligen Stimmungsschwankungen, die Veränderungen des eigenen Körpers, nervige Eltern, Rebellion und ein „Alles-kotzt-mich-an“-Dauergefühl im Bauch. Meine Veränderungen aber waren anders. Irgendwie … anders als bei allen anderen. Ich fühlte mich überhaupt nicht wohl in mir selbst. Das lag nicht nur daran, dass ich mit jedem Geburtstag mehr und mehr an Gewicht zugelegt habe und deswegen irgendwann den Spitznamen „Fettnei“ in der Klasse weghatte. Ich war schwermütig und fühlte mich unter Menschen überhaupt nicht mehr wohl. Wollte mich jemand zum Ausgehen überreden, blieb ich zuhause und setzte mich lieber an den Computer, um einen Roman zu schreiben. In meiner Phantasiewelt konnte ich bestimmen, was geschah und aufarbeiten, was mich bedrückte.
Als mich schließlich ein Jungscharkind ansprach und fragte, ob ich schwanger sei und eine Bekannte zudem meinte: „Na ja, du hast ja schon einen kleinen Bauch …“ beschloss ich, mich endlich auf Diät zu setzen. Ich schloss mit meiner Schwester eine Wette ab, die darin bestand, keinen Zucker mehr zu essen. Der Verlierer müsse dem anderen einen Kinobesuch bezahlen. Das zogen wir eiskalt durch. So verlor ich innerhalb weniger Monate über zehn Kilo an Gewicht. Das gefiel mir sehr gut, es war ein neues Lebensgefühl, bestätigt von den bewundernden Äußerungen der Menschen rund um mich herum. Ich wollte mein Gewicht unbedingt halten. Was mich nur insgeheim erschreckte, war, dass mein Schwermut nicht mit den Pfunden weggeschmolzen war. Im Gegenteil – er nahm sogar zu. Und mein Gewicht begann zu schwanken. Also reduzierte ich das Essen weiter. So weit, dass ich fast gar nichts mehr aß. Das machte müde und antriebslos und aus meiner Schwermut wurde Depression. Ich war furchtbar labil und das ärgerte mich sehr. Ich hatte doch alles getan, um glücklich zu sein! Warum war ich dann immer noch unzufrieden mit mir und meinem Leben? Warum war ich so anders als die anderen? Und warum - zum Henker! - nahm ich bei dem wenigen, was ich noch aß, nicht weiter ab sondern sogar wieder ein paar Kilogramm zu? Ich verstand das nicht. Ich verstand mich nicht mehr. Ich verstand Gott nicht mehr. Es war alles nur noch ein großer, grauer Strudel, in den ich hineingeraten war und der mich stetig weiter nach unten zog.
Mein persönliches Horrorjahr kam 2003. Trotz eines guten Abschlusszeugnissens bekam ich nach meiner Ausbildung keinen Job und rasselte drei Mal durch die Fahrschulprüfung. Ein Bekannter aus dem Jugendkreis nahm sich das Leben. Mein Opa wurde todkrank und starb. Oftmals bin ich in dieser Zeit von daheim weggerannt und dann doch zurück nachhause gekehrt, weil ich meiner Familie nicht noch mehr Lasten auflegen wollte, als sie ohnehin zu tragen hatte. Heimlich rauchte ich Zigaretten, in der Hoffnung, meine Depris damit etwas mildern zu können. Auf meine Freunde konnte ich nicht bauen, die hatten zu viel mit Schule, Ausbildung und Co. zu tun. Und Gott? Der antwortete nicht auf meine Gebete. Ich fühlte mich völlig allein gelassen. Es gab Tage, da wäre ich am liebsten zur Autobahnbrücke gerannt und hätte mich hinuntergeworfen. Ich war nur noch ein Roboter, der äußerlich funktionierte, innerlich aber lebte nur noch ein Wesen, ganz klein, das die Richtung bestimmte, in die der Roboter gelenkt werden sollte. Keine Seele mehr, kein Leben. Nur noch grau. Ich war kurz davor, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Gott sei Dank – und das meine ich absolut ernst – hat Gott noch rechtzeitig eingegriffen. Das alles musste aufhören, das wurde mir klar. Entweder, ich gäbe auf und würde mich so weit in den Depri-Strudel hinunterziehen lassen, bis ich beim Psychiater auf der Couch landen und von dort nicht mehr wegkommen würde oder aber ich würde mir so feste in den Ar… treten, bis ich es allein (und mit Gottes Hilfe)aus dem Strudel herausgeschafft hätte. Ich entschied mich für letzteres. Eine große Hilfe war auch, dass meine Mutter mir ein Buch mit leeren Karoseiten schenkte und meinte: „Du solltest wieder anfangen zu schreiben. Das hat dir damals doch so gut getan.“ Das tat ich dann auch. Anfangs fiel es mir schwer, überhaupt geordnete Sätze schreiben zu können. In meinem Kopf war alles so verdreht. Aber ich tat es. Und es half mir wirklich. Ich nahm meinen ehemaligen Roman, der im 18. Jahrhundert spielte, und schrieb ihn um, hinein in unsere jetzige Welt, verpackte Geschehnisse und Gedanken so, dass niemand wusste, was an der Geschichte erfunden und was real passiert war. Das war eine großartige Form der persönlichen Aufarbeitung. Die Psychotherapie, die mein Hausarzt mir empfohlen hatte, nahm ich nicht wahr. Ich war motiviert genug, es ohne therapeutische Hilfe zu schaffen. Gott half mir dabei, in dem er mir einen Aushilfsjob vermittelte. Er half mir, Schritt für Schritt, aus dem grauen Nichts heraus.
Langsam ging es mir wieder gut; ich wechselte von einer Arbeitsstelle zur nächsten und erhielt eine Festeinstellung, gemeinsam mit einer Klassenkameradin aus der ehemaligen Berufsschule. Wir waren beide sehr motiviert, hatten viel Spaß und kamen jeden Morgen gerne zur Arbeit. Wir lachten viel und trafen uns mit unseren Arbeitskolleginnen gerne außerhalb unseres Jobs, um zusammen etwas zu unternehmen.
Dann wurde unsere Leitung schwanger und eine andere Leitung kam. Die Dame hatte Schwierigkeiten, sich in unser Team einzufügen. Spannungen entstanden. Meine Kollegin wurde schwanger und fiel oft aus, so dass die Vertretungskräfte in meiner Gruppe kamen und gingen. Bis eine neue Gruppenkraft eingestellt wurde, vergingen viele Monate. Und die alleinige Verantwortung mit allen Problemen und Differenzen machte mich fertig. Die endlich neu eingestellte Gruppenkraft zerstritt sich gleich mit einer anderen. Der Druck auf mich wurde zu groß. Mir ging es schlecht. Mir war schlecht. Ich wurde wieder depressiv. Das alles gipfelte darin, dass ich mich mit meiner Chefin verkrachte. Ich wurde krankgeschrieben.
Hilfe fand ich bei einer christlichen Psychotherapeutin, die mich mit viel Einfühlungsvermögen und Kompetenz wieder aufzubauen begann. Drei Monate lang besuchte ich sie jede Woche, bis ich die Erlaubnis erhielt, wieder arbeiten gehen zu dürfen.
Meine Gruppenkraft hatte in der Zwischenzeit gekündigt. Also stand ich da: Wieder alleine, mit einem mehrmonatigen Vertretungskraftgewusel als Überbrückung in Aussicht, bis eine neue Fachkraft gefunden sein würde. Ist das denn wirklich dein Wille, Gott? Soll das Ganze wieder von vorne beginnen? dachte ich. Und dieses Mal sagte Gott: Nein. Durch meine Therapeutin gestärkt, beschloss ich, endlich Selbstbewusstsein zu zeigen und kündigte meinen Vertrag. Dafür bewarb ich mich als FSJlerin in einem christlichen Gemeindezentrum und wurde genommen.
Ich bereute es nicht. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Ich blühte auf, machte jeden Blödsinn mit und fühlte mich so lebendig wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Manchmal war ich sogar etwas zu überdreht, so dass die anderen die Köpfe schüttelten, aber das war mir egal. Ich holte ein Stückchen Pubertät nach, die Jungs drehten sich allesamt nach mir um und flirteten mit mir, die Sonne schien und alles war gut. Dass ich manchmal etwas müde war, erklärte ich mir durch meinen Übermut: abends spät ins Bett, morgens früh raus und den ganzen Tag durchpowern. Und was bedeuteten schon diese komischen Nacken- und Halsschmerzen? Die waren nach drei Tagen wieder verschwunden.
Ich fragte Gott, wie es nun weiter mit mir gehen sollte. Wieder zurück in meinen alten Job? Oder doch etwas ganz neues ausprobieren? Ich entschied mich, meiner zweiten Leidenschaft neben dem Schreiben nachzugehen und mich an einer Kunstschule zu bewerben. Prompt wurde ich angenommen. Danke, Gott! Nun weiß ich endlich, wohin die Reise gehen soll! Du bist echt toll!
Ich fand Platz in einer superschönen Mädchen-WG, die in einer alten Villa untergebracht war und wir quasselten im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt. Es war eine tolle Gemeinschaft. Mein erstes Semester ging vorüber und ich erhielt viel Lob von meinen Lehrern. So begann das zweite Semester. Und damit auch das Etwas.
Das Etwas fing damit an, dass ich morgens immer schlechter aus dem Bett kam. Dass ich einen niedrigen Eisenspiegel hatte, wusste ich und schob es darauf ab. Den leichten Schwindel, den ich ab und an hatte, auch. Und die Kreislaufschwierigkeiten. Meine Mutter hatte dies schließlich auch in meinem Alter gehabt.
Dann aber begann der Schwindel stärker zu werden und ich fror dauerhaft. Das Malen wurde schwierig, ich konnte mich nicht mehr richtig auf eine Sache konzentrieren. Danach war ich so fertig, dass ich auf dem Nachhauseweg fast im Bus einschlief. Einmal bin ich auf halbem Weg zur Schule ausgestiegen und zurück nachhause gefahren, weil mein Kreislauf so am Boden war und der Schwindel zu groß.
Eines Morgens - es war Sonntag und meine Mädels und ich wollten zur Kirche gehen - konnte ich nicht mehr aufstehen. Ein heftiger Zitteranfall hatte mich gepackt. Danach war ich komplett fertig.
Bei einem Einkauf wäre ich der Kassiererin bald am Fließband zusammengeklappt.
Ich fasste mir ein Herz und entschloss mich, einen Arzt aufzusuchen. Das bedeutete eine hohe Überwindung für mich, denn irgendetwas in mir sagte : Das wird dir kein Mensch glauben, wenn du das erzählst. Die werden dich für verrückt erklären! (tragischerweise hat sich dies mehr als nur ein Mal bestätigt, wie du später noch sehen wirst.) Also tastete ich mich an den Hauswänden entlang die Straße hinunter, hielt den Schwindel aus, wartete brav die drei Tage auf die Rückmeldung der Ärztin. Diagnose: ein niedriger Eisenwert. Sonst nichts. Also schluckte ich Eisenkapseln. Das half ein bisschen. Aber auch nicht wirklich. Ich holte mir die Zweitmeinung einer anderen Ärztin ein. Nichts.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich an dem einen Morgen den Kopf auf dem Boden wälzte, verzweifelt heulte und betete: Gott, warum machst du das mit mir? Ich kann nicht mehr! Ich kann so nicht weiterleben. Ich bin total fertig, das siehst du doch! Warum hilfst du mir nicht? Das kann doch nicht wahr sein! All die Jahre dieses Auf und ab. Das kann nicht wahr sein! Gott, ich brauche ein neues Leben. Das hier ist kaputt. Ich kann’s nicht mehr leben. Ich kann nicht! Ich flehte ihn nach Antworten an. Aber Gott schwieg.
Ein Stein war ins Rollen geraten, der nicht mehr aufzuhalten war. Ende November brach ich bei einem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt zusammen. Die Diagnose meiner Ärztin: kein auffälliger Befund, warten bis Neujahr und dann einen Termin beim Neurologen ausmachen. So lange eben mit Kreislauftropfen über Wasser halten, sie könne sonst leider nichts weiter für mich tun.
Ich fuhr nachhause zu meinen Eltern. Dort legte ich mich aufs Sofa und ertrug die Schwindel-, Hunger- und Zitteranfälle durch Augenzulassen. Mein Körper wurde überhaupt nicht mehr warm. Mein Kopf war eine einzige, graue Pampe. Ich bekam nicht mehr viel mit von dem, was um mich herum geschah. Und jeder Arzt, zu dem ich mich aufraffte, erzählte mir: "Da ist nichts. Das ist eine verschleppte Grippe, Sie brauchen mehr Ruhe. Sie sind psychisch labil, machen Sie Yoga!" Ich lachte sie heimlich dafür aus. Eine Psychose? Von was denn bitte? Mir war es auf der Kunstschule und in meiner WG so gut gegangen! Ich brauchte kein Yoga. Ich brauchte jemanden, der mich ernst nahm und mal gründlich untersuchte!
Die Frau meines Cousins, die Krankenschwester ist, riet mir, meinen Vitamin-D-Wert testen zu lassen, schließlich würden meine Symptome auf genau dieses Krankheitsbild zutreffen. Ich redete mit meinem Arzt, sagte ihm, ich würde diese Leistung auch selber zahlen, wenn die Krankenkasse dies nicht übernehmen würde. Ich bekam den Wert gemessen (den ich tatsächlich selbst bezahlen musste). Ergebnis: Ein eindeutiger Vitamin-D-Mangel. Endlich! Ein erster Beweis, dass ich mir meine Symptome nicht einbildete!
Ich schluckte Vitamin D. Es ging mir ein bisschen besser. Dann aber so schlecht, dass ich kaum mehr geradeaus laufen konnte. Ich wachte morgens um halb zehn auf, mehr schlecht als recht, stolperte unter die Dusche, in der Gewissheit, dass dort Wände waren, an denen ich mich abstützen konnte, um nicht umzufallen, schleppte mich zum Frühstück und danach zurück aufs Sofa, um die nächste Schüttelfrost-Schwindelattacke zu durchleben. Die Tage wischten an mir vorbei, ohne, dass ich sie wahrnahm. Die Welt hatte aufgehört, sich zu drehen. Das Einzige, was mich ruhig hielt, waren meine Gebete und. Ich danke meiner Familie, dass sie mich in dieser schweren Zeit so geduldig und aufopferungsvoll ertragen hat. Denn mein Zustand, psychisch wie physisch, war wirklich katastrophal. Es war Wahnsinn in ausgeprägter Form.
Letztendlich war es mein Onkel, der mir riet, zu seinem Bekannten zu fahren, der Heilpraktiker ist, ein kompetenter ohne okkulten Hintergrund. Lange habe ich gezögert, hatte ich mit vielen Vorurteilen und Zweifeln diesem Berufszweig gegenüber zu kämpfen. Aber was blieb mir noch anderes übrig?
Also ließ ich mich darauf ein, ließ mich hinfahren und torkelte die Treppenstufen hinauf. Im Wartezimmer hielt ich den Blick stur auf das kleine Aquarium auf der Rezeption gerichtet, weil alles um mich herum waberte. Im Sprechzimmer schließlich wurde ich sehr freundlich empfangen und mir viele Fragen gestellt. Ich wurde ausgiebig untersucht und mir Blut abgenommen, da Herr X. die Vermutung aufstellte, dass mit meiner Schilddrüse etwas nicht stimmte. Vitamin B12 bekam ich auch gespritzt. Das tat wirklich gut. Zum ersten Mal fühlte ich mich in einer Praxis ernst genommen und nicht gleich auf die Psychobank abgeschoben.
Nach gut einer Woche lag das Blutergebnis vor: Meine Schilddrüsen-Antikörper-Werte, die normalerweise unter 60 liegen sollten, lagen bei über 3.000. Ich hatte Hashimoto Thyreoiditis. Was das ist, lässt sich mit kurzen Worten beschreiben: Mein Körper zerstörte durch Entzündungsschübe meine Schilddrüse. Mein Immunsystem, das normalerweise dafür verantwortlich ist, fremde Bakterien und Viren im Körper zu eliminieren, hatte sich gegen mich gerichtet. Ich hatte eine Autoimmunerkrankung. Endlich, endlich eine Diagnose! Ich hatte mir meine Krankheit nicht eingebildet! Und nun hatte ich schwarz auf weiß den Beweis dafür!
Schnell bekam ich Selen zugeschickt. Das half, die Antikörper einzudämmen. Auch erhielt ich eine Schilddrüsenhormon-Einstellung und den Ratschlag, dringend auf jodhaltige Lebensmittel/Jodsalz zu verzichten, da diese die Entzündungsschübe anheizen würden. Mein Hausarzt staunte nicht schlecht über das Blutergebnis, hielt sich aber weiterhin bedeckt und verschrieb mir meine Hormone. Mir ging es tatsächlich besser!
Ich wackelte mich nun durch mein neues Leben. Mal ging es mir richtig gut, mal wieder nicht. Trotz allem war es kein Vergleich zu vorher. Dies hielt ein gutes, halbes Jahr an. Dann aber ging es mir so schlecht, dass ich mich ins Krankenhaus einweisen ließ. Hier bekam ich von vornerein den Stempel „durchgeknallt“ aufgedrückt. Zwar nahm man mir Blut zur Kontrolle ab (aus Unkenntnis aber keine Schilddrüsenhormon-Werte) und verschrieb mir eine neue SD-Hormon-Dosierung. Ansonsten geschah aber nichts. Ich war unbequem, der Stationsarzt schimpfte mit mir, ich solle mich nicht so anstellen, Hashimoto wäre schließlich „Pillipalle“ und dort wäre die Psychotherapeutin, mit der ich mich doch bitte unterhalten solle. Es war der finale Schlag ins Gesicht: Ich war verrückt. Ich saß da und hörte eine Stimme in meinem Kopf, die sagte: Sieh es ein! Du bist völlig durchgeknallt und gehörst in eine Anstalt, damit der Wahnsinn endlich sein Ende findet. Ich wäre so gerne aus dem Zimmer gelaufen. Aber ich konnte nicht. Ich war wie an der Matraze festgeklebt. Gott! Oh mein Gott. Hilf mir! Gib mir Kraft! Ich bin nicht wahnsinnig!
Ich wurde ganz ruhig und konnte der Therapeutin durch die langen Krankenhausflure folgen. Die Therapeutin war sehr nett, fragte mich ein wenig aus und ich durfte mir einen Apfel aus dem Obstkorb nehmen, weil ich solchen Hunger hatte. Nach einer halben Stunde stand ihre Diagnose fest und ich durfte gehen. Ich erhielt noch ein 24-h-EKG, ohne Auffälligkeiten, dann wurde ich entlassen.
Zuhause angekommen, vereinbarte ich gleich einen Termin bei meinem Heilpraktiker. Wir fuhren hin und ich breitete alle Blutergebnisse des letzten, halben Jahres aus, die ich auch im Krankenhaus dabei gehabt hatte. Herr X. sah sie sich an und erklärte mir dann, dass ich definitiv nicht verrückt wäre, es ginge schließlich aus den Werten hervor, dass sich die zugeführten SD-Hormone in meinem Blut nicht richtig aufspalten würden. Ich würde ein Spezialmedikament benötigen, in dem beide Hormone enthalten wären. Zum Testen gab er mir einen Blister mit. Und innerhalb weniger Tage waren meine Probleme beseitigt.
Es dauerte seine Zeit, bis ich die ganzen Erlebnisse verdaut hatte und stabil genug war, mich langsam wieder an die Normalität heranzutasten, eine Putzstelle anzunehmen, erst ein Mal die Woche, dann mehrmals. Vereinzelt gab es Rückschläge, wie etwa eine Nebennierenschwäche aufgrund des jahrelangen Dauerstresses, diverse Vitamin- und andere Mängel, Lebensmittel-unverträglichkeiten und –allergien.
Trotzdem geht es mir heute, nach diesen fünf Hashi-Jahren, unglaublich gut. Ich bin richtig eingestellt, die Schilddrüse ist fast komplett zerstört und damit habe ich nur noch sehr selten Schübe. Hätte mir jemand damals erzählt, wie fit und gesund ich mich einmal wieder fühlen würde – ich hätte ihn ausgelacht. Ich habe mir von Gott ein neues Leben gewünscht. Und ich habe definitiv eines bekommen. Das war ein schweres Stück Arbeit und ich habe hart darum kämpfen müssen, aber ich habe nun eines, mit dem ich mich sehr wohl fühle. In dem es keine Depressionen mehr gibt und in dem ich glücklich und zufrieden mit mir selbst bin. Ich bin nicht perfekt, aber das will ich auch gar nicht sein. Ich bin eine Prinzessin auf der Erbse – aber in der Prinzessin steckt auch eine kleine Amazone, die sich nicht davor scheut, den großen Matratzenturm zu erklimmen und dort oben (trotz Erbse) auszuharren, bis sie wieder herunterklettern darf.
Manche würden es Fügung nennen, wie alles gelaufen ist. Ich nenne es Führung. Denn ohne Gott, meine Familie und meinen Heilpraktiker wüsste ich nicht, wo ich heute wäre, entweder in der Gummizelle oder auf dem Friedhof. Darum will ich dir Mut machen: Mut, durchzuhalten und durch das dunkle Tal zu gehen, von dem David in Psalm 23 erzählt, mit dem Wissen, dass da jemand ist, der mit dir zusammen hindurch geht, auch wenn du ihn weder siehst, noch hörst, noch spüren kannst. Gott ist da und er hört jedes einzelne Gebet, das du, wenn auch nur im Stillen, aussprichst, weil du es laut nicht mehr zustande bringst. Schrei Gott an, wenn dir danach ist. Er wird es dir nicht übel nehmen. Er wird dir helfen, deinen ganz persönlichen Wahnsinn zu bewältigen.
Einfach Wahnsinn, dass es ihn gibt - und das natürlich nur im absolut positiven Sinn! :)
Alles Liebe dir,
Chris
PS: Wenn du Fragen bzgl. Hashimoto hast oder noch etwas anderes von mir wissen möchtest, darfst du mich gerne anschreiben.