Hoffnung auf ein Wiedersehen
Es war am 22. Dezember 1987. Meine Mutter weckte mich wie so oft in den letzten Wochen wieder mitten in der Nacht auf, diesmal jedoch mit den Worten: „Du musst nicht mehr helfen kommen, dein Daddy ist gestorben.“ Das war das sehr schmerzhafte und zugleich erlösende Ende der kurzen, aber sehr lange erscheinenden Krankheitszeit meines Vaters und Leidenszeit für uns als ganze Familie.
Nur gerade elf Monate vor seinem Tod wurden unerwartet die ersten Krebszellen entdeckt. Am 26. Januar erfolgte die erste Operation. Und von da an ein tiefgehender und prägender Prozess für uns als ganze Familie, ein Wechselbad zwischen Hoffnung auf Besserung und Heilung und immer wieder negativen Diagnosen mit trüben Aussichten. Bereits Mitte März blieb den Ärzten nichts anderes zu sagen als: „Herr Stähli, es tut uns leid für Sie!“ Ich weiss nicht, wie viele Wochen Lebenserwartung ihm vorausgesagt wurde, aber Gott hat uns noch neun wertvolle Monate geschenkt. Diese Zeit hat uns als Familie zusammengeschweisst und für immer geprägt. Er konnte, bis auf einige Spitalaufenthalte und Operationen, die ganze Zeit bei uns zuhause sein.
Einer der letzten Einträge in seinem Tagebuch etwa drei Monate vor seinem Tod war: „Heute hatte ich gerade noch genug Energie für mich selbst. Lieber Gott, schenke mir wieder Kraft, damit ich meine Rolle als Ehemann und Vater wieder erfüllen kann.“ Es wurde leider nicht besser. Er wurde immer schwächer, sodass er kurz darauf auch sein Tagebuch nicht mehr weiterführen konnte. Er war ein vorbildlicher Vater, geradlinig, liebend und fürsorglich. Wie muss das für ihn gewesen sein, während Monaten zusehen und hinnehmen zu müssen, dass ihn die Kräfte verliessen und er nicht mehr für seine Familie sorgen konnte! Wie schmerzhaft muss es gewesen sein, zu realisieren, dass er seine Frau und drei Kinder bald alleine zurücklassen muss, wenn Gott nicht eingreift und ein riesen Wunder tut! Diese Gedanken tun mir heute noch weh.
Wir haben bis zum letzten Tag miteinander gerungen, gebetet und auf Gott vertraut, dass er Heilung schenken kann. Aber Gott hat sich anders entschieden, als wir es erhofft hatten, und zugelassen, dass er im Alter von nur 45 Jahren eine junge Familie zurücklassen musste. Ich kann das bis heute nicht verstehen und einordnen. Er hat eine grosse Lücke hinterlassen und er fehlt mir nach über 20 Jahren immer noch. Das „Warum“ und der grosse Verlust bleiben und doch habe ich keine Bitterkeit gegen Gott, denn ich bin auch reich beschenkt.
Wenn ich an sein Leben denke, erfüllt sich mein Herz mit Dankbarkeit, Freude und Stolz. Ich habe von meinem Vater in den 17 Jahren mehr bekommen und profitiert als viele von ihren Vätern ein Leben lang! Sein unerschütterliches Vertrauen in Gott, auch in medizinisch und menschlich gesehen hoffnungslosen Situationen, hat sich auch in meinem Leben verankert. Aussagen aus seinem Tagebuch wie: „Ich vertraue Gott, dass er recht für meine Familie sorgen würde.“ und „Müsste ich mich entscheiden zwischen Krebs im Körper oder Krebs in der Seele, so wäre das einfach.“ zeugen von seiner Perspektive über den irdischen Tod hinaus an ein ewiges Leben mit Gott. Sein vorbildliches Leben spornt mich an, ein Leben zu führen, das ihn ehrt und Gott gefällt.
Ich teile mit ihm den Glauben an die Aussage von Jesus in der Bibel in Johannes Kapitel 11: „Wer an mich glaubt, der wird leben, selbst wenn er stirbt.“ Was für ein Vorrecht ist es, die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod zu haben! Und was für eine Freude ist es, zu wissen, dass es kein endgültiger Abschied ist und es ein Wiedersehen im Himmel geben wird!