Barbara Laubscher

Berner Oberland, Switzerland

Versöhnt mit meiner Geschichte

1979 kam ich zu früh auf die Welt. Die ersten neun Jahre lebte ich mit meinen Eltern und meiner zwei Jahre jüngeren Schwester zusammen. Da war die Welt noch in Ordnung! Nach der Scheidung meiner Eltern, wohnten meine Schwester und ich mit unserer Mutter zusammen. Meine Mutter hatte danach mehrere Freunde. Meinen Vater sah ich nur noch an den Wochenenden. Im Juni 1991 starteten meine Mutter und ihr Freund, der Pilot war, zu einem Alpenrundflug. Leider kamen sie dort nie an. Fünf Minuten nach dem Start stürzte das Flugzeug senkrecht auf die leicht abfallende Alp ab und wurde vollständig zusammengestaucht. Der Unfall war nicht zu überleben! Damals war ich 12 Jahre alt, als meine Mutter im Alter von 33 Jahren starb. Mir wäre es nie in den Sinn gekommen, Gott die Schuld am Tod von meiner Mutter zu geben. Aber Gott interessierte mich auch nicht weiter. An diesem Wochenende war ich im Grasski-Training. Mein Trainer erhielt von seiner Frau einen Anruf, dass meine Mutter gestorben sei. Nach diesem Gespräch wusste ich, dass irgendetwas Schlimmes passiert sein muss. Aber er sagte natürlich nichts. Frisch-fröhlich fuhr ich am Sonntag wieder nach Hause. Ich freute mich auf meine Melone. Da wusste ich noch nicht, dass ich nie mehr mein Zuhause sehen würde. Plötzlich stand das gelbe Auto mit meinem Vater am Strassenrand. Ich wollte nur wissen, wo meine Mutter sei. Sie sei im Himmel, war die Antwort. Ob meine Mutter wirklich im Himmel ist, werde ich einmal sehen. Von da an habe ich wohl nur noch funktioniert.

Nach dem Tod zogen wir zu unserem Vater. Am nächsten Tag wollte ich unbedingt in die Schule und tat, als wäre nichts geschehen. Alle waren plötzlich so nett zu mir! Meine Mitschüler und Lehrer waren wohl mit der ganzen Situation überfordert!

Dann kam der Tag der Beerdigung. Aus Protest zog ich einen weissen Pullover an! Niemand sagte etwas dazu. Das Schlimmste war, vor der Aufbewahrungshalle zu warten und bemitleidet zu werden. Als wir dann hinter dem Sarg auf den Friedhof marschierten, musste ich weinen und wollte am liebsten davonlaufen. Es war einfach schrecklich.

1993 zogen wir wieder woanders hin. Da ich die Leute im Haus sehr lieb hatte, war dieser Auszug sehr schmerzhaft. Wenn ich einfach so hätte wünschen können, hätte ich mir eine andere Kindheit gewünscht: Eine richtige Familie zu sein, mit meiner Mutter aufzuwachsen,…

Nach der Schule begann ich 1995 meine Lehre als Topf- und Schnittblumengärtnerin. Mit der Zeit fand ich heraus, dass drei Mitarbeiterinnen an Gott glaubten. Während dem Arbeiten sprachen sie öfters über Gott und die Welt. Einmal während dem Gärtnern auf dem Friedhof sprachen sie über den Psalm 23, welcher auf einem Grabstein stand. Als ich zu Hause war, nahm ich meine Konf-Bibel und las den Psalm 23. Ich verstand nur Bahnhof! Inzwischen war ich im 2. Lehrjahr und wurde immer neugieriger, wer dieser Gott ist. Mit der Zeit besuchte ich regelmässig die christliche Jugendgruppe und verstand nach und nach etwas mehr von Gott.

Im Herbst 1996 besuchte ich eine einwöchige Veranstaltung. Abend für Abend hörte ich zu, wie aus der Bibel und aus dem Leben Geschichten erzählt wurden. Nach zwei schlaflosen Nächten und einem inneren Kampf, entschied ich mich, dass ich mit Jesus leben will. Ich hatte keine Ahnung, was dies für mein Leben bedeuten wird…

Im März 1997 liess ich mich im Hallenbad taufen und bezeugte vor der den Menschen und der unsichtbaren Welt, dass ich zu Jesus gehöre, dass ich mit ihm gestorben und auferstanden bin und dass er in mir lebt.

Bis im Herbst 1998 sprach ich mit niemandem über meine Mutter. Ich verdrängte alles und hoffte, dass mich ja niemand über meine Herkunft oder Eltern fragen würde. Es tat einfach zu weh, darüber zu sprechen.

Während der Jüngerschaftsschule 1998/1999 begegnete ich einem liebenden Gott im Himmel und meine Beziehung zu ihm vertiefte sich. In dieser Zeit fing ich an, Gott in meinen Schmerz zu lassen. Das war der Anfang eines langen Prozesses…

Einmal bekammen wir den Auftrag, den Charakter einer biblischen Person zu studieren. Ich entschied mich für Hiob und lernte folgendes daraus: Dass ich an einen guten Gott glauben darf und einem guten Gott vertrauen kann, auch wenn alle Umstände dagegen sprechen.

Ich durfte 2001 heiraten und drei Mädchen wurden uns geschenkt. Dafür bin ich Gott so dankbar. Es vergingen 11 Jahre, bis ich mich 2010 wieder meinem Schmerz stellen musste. An der Beerdigung einer jungen Mutter kamen alle Erinnerungen an Mutters Tod wieder hoch. Ihre beiden Mädchen waren genau gleich alt wie ich und meine Schwester, als unsere Mutter starb. Da wusste ich, es ist an der Zeit mein Herz von Gott heilen zu lassen. Was aber in meinem Fall nicht von heute auf morgen ging. Es ist ein Heilungsprozess mit vielen Stationen und Tränen…

In den Toscanaferien 2010 ermutigte mich eine Freundin, dass ich Gott in diesen Ferien wirken lassen soll. Bis zu diesem Zeitpunkt beantwortete ich immer noch nicht gerne Fragen über meine Herkunft/Vergangenheit, weil es einfach schmerzte. Aber ich merkte, dass ich die Verletzungen über den Tod meiner Mutter von Gott verarzten lassen wollte. Es tat gut mit einer Freundin darüber zu sprechen, weil sie mich so gut verstehen konnte. Es war schon ein Wunder an sich, dass ich mit ihr darüber sprach. Während ich am Meer Muscheln sammelte, sagte Gott zu mir: "Auch wenn du mich damals noch nicht gekannt hast, habe ich dich in dieser Zeit getragen. Lass den Tod deiner Mutter los und gib mir diese schwierige Zeit zurück. Ich will dich heilen. Schreib alles auf, wirf es symbolisch ins Meer und lass los." Ich habe Gott um ein Zeichen gebeten, welches mich daran erinnern sollte, dass ich losgelassen habe. Gott hat Humor. Er schickte einen Helikopter vorbei! Für mich war es so, als ob Gott mir damit zeigen wollte, dass er gekommen ist und meine Last mitgenommen hat. Nachdem ich das Geschriebene auf dem Papierschiffli ins Meer geworfen habe, fühlte ich mich frei und erleichtert. Es war ein Kampf, loszulassen. Gott ist einfach genial!

Im November 2010 begegnete ich im Gottesdienst, nach vielen Jahren, einem alten Schulfreund. Er kannte und liebte meine Mutter auch. Er erlebte die ersten paar Tage nach dem Tod meiner Mutter hautnah mit. Er schrieb mir sein Erlebtes mit meiner Schwester auf. Das war schmerzhaft, aber zugleich auch heilsam. Er hatte viel mehr Erinnerungen an meine Mutter als ich. Ich habe fast keine Erinnerungen an die Zeit vor Mutters Tod. Wer und wie sie war, weiss ich nicht mehr.

Ein tragischer Flugzeugabsturz im August 2012 ging mir sehr nahe, weil ja meine Mutter damals vor 21 Jahren auch auf diese tragische Art und Weise ums Leben kam. Nach diesem Unglück träumte ich, dass ich in ein Flugzeug einsteigen müsse und dabei panische Angst hatte… Bis heute flog ich ein paar Mal. Diese Flüge schaffte ich nur mit Gottes Hilfe. Ich weiss nicht, wann ich wieder in ein Flugzeug steigen werde. Meine Kinder möchten gerne einmal fliegen… Ich hatte den Eindruck, dass ich mit meinem Mann an die öffentliche Gedenkfeier gehen sollte, auch wenn es schmerzt… Ich war an der Gedenkfeier, kannte zwar niemand der Verunfallten persönlich. Da aber das Ganze viel mit meinem Leben zu tun hatte, musste ich gehen. Ein paar Tränen kullerten über mein Gesicht und Erinnerungen kamen hoch. Der Pfarrer sagte unter anderem: "Es wird nie mehr so sein, wie es war!" Wie recht er hatte… Seitdem ist mir Psalm 56,9 wichtig geworden: Gott kennt jede meiner Tränen…

Im 2012/2013 besuchte ich den Grundkurs der Schule für Heilung. An diesen Wochenenden erlaubte ich Gott weiter, mein verletztes Herz zu heilen.

Im Winter 2012 schenkte mir Gott ein weiteres Puzzleteil, was den Tod meiner Mutter anging. Ich fragte mich all die Jahre, wo und wie sie abgestürzt sei. Dank dem Internet fand ich das Unfallprotokoll des Absturzes. Als ich es las, musste ich nur weinen… Aber die Tränen waren einmal mehr heilsam. Die nächsten Tage war ich etwas "näb de Schueh". Aber ich wusste, dass Gott in allem bei mir ist.

Im Herbst 2013 besuchte ich einen weiteren Heilungsabend. Es ging um Verletzungen in der Kindheit… Ich sass auf meinem Stuhl, hörte zu und es tat nicht mehr so weh, wenn ich an meine Kindheit zurück dachte.

Heute kann ich wieder über meine Vergangenheit reden und bin mit meiner Geschichte versöhnt. Es ist meine Geschichte und gehört zu meinem Leben, auch wenn der Schmerz wohl nie ganz verschwinden wird.

Ich schrieb meine Geschichte für Gott auf, um ihm zu danken, was er aus meinem Leben gemacht hat.

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